Elliot Lake, Kanada
Uranbergbau
Die Uranminen von Ontario sind seit Jahrzehnten geschlossen, das goldene Zeitalter des Uranfiebers längst Vergangenheit – doch radioaktiver Abraum und das freigesetzte Radongas bedrohen weiterhin Umwelt und Gesundheit der Menschen in der Region. Hunderte von Bergarbeitern erlagen bereits den Folgen der Strahlenexposition und Zehntausende weitere Todesfälle werden aufgrund der radioaktiven Verseuchung in den nächsten Jahrzehnten erwartet.
Hintergrund
1954 wurde in der kanadischen Provinz Ontario nahe der Stadt Elliot Lake Uranerz entdeckt. Es war die Zeit des „Uranfiebers“ in Nordamerika, da das Atomwaffenprogramm der USA auf spaltbares Material angewiesen war. Wenig später begannen die Unternehmen Denison Mines und Rio Algom in insgesamt zwölf Minen mit der Förderung und Verarbeitung des radioaktiven Stoffes. Rasch gab man Elliot Lake den Beinamen „Welthauptstadt des Urans“. Alarmiert durch die hohe Anzahl von Lungenkrebsfällen, begannen die Minenarbeiter in den 1970er Jahren zu streiken. Die Provinzregierung von Ontario berief eine Kommission ein, die die gesundheitlichen Auswirkungen radioaktiver Strahlung in den Minen prüfen sollte. Vor allem Radongas stand im Verdacht, die Krebsraten in die Höhe zu treiben. Studien aus Uranbergbaugebieten in der CSSR und im deutschen Erzgebirge hatten diesen Zusammenhang bereits mehrere Jahrzehnte vorher aufgezeigt. Auch in Elliot Lake fand man, dass in der Kohorte der Uranminenarbeiter von Elliot Lake doppelt so viele Menschen an Lungenkrebs erkrankt waren, wie in vergleichbaren Kontrollpopulationen (81 Fälle statt der erwarteten 45). Die Kommission sprach daraufhin Empfehlungen hinsichtlich neuer Sicherheitsstandards aus und kam in ihrem Abschlussbericht zu der Erkenntnis, „dass die Exposition an Radon-Zerfallsprodukten aus arbeitsmedizinischer Sicht mit Sicherheit zu einem erhöhten Risiko von Lungenkrebs in der Belegschaft führt.“ Die amerikanische Gewerkschaft der Stahlarbeiter sprach daraufhin die Empfehlung aus, nicht in den Minen von Elliot Lake zu arbeiten. Der Gewerkschaftssprecher für Umweltangelegenheiten, Paul Falkowski, fand 1976 deutliche Worte: „Wenn man es vermeiden möchte, mit Lungenkrebs im Krankenhaus zu landen, sollte man die Situation in Elliot Lake genau betrachten, bevor man sich bei einer der Firmen verpflichtet.“
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Auch die British Columbia Medical Association (BCMA) warnte vor einer steigenden Anzahl strahleninduzierter Krebserkrankungen bei Uranminenarbeitern. Studien der Organisation ergaben, dass 1984 bereits 274 Bergleute wegen Lungenkrebs verstorben waren. Eine britische Studie kam zu dem Schluss, dass die Arbeit in Uranminen das Krebsrisiko um das Dreifache erhöht. Doch nicht nur die Bergleute, sondern die gesamte Bevölkerung der Region war stetig wachsenden Mengen Strahlung ausgesetzt. Große Mengen strahlenden Abraumes wurden in offenen Deponien gelagert. Diese Rückstände enthielten aufgrund von strahlenden Stoffen wie Radon-226 oder Thorium-230 noch etwa 85 % der initialen Radioaktivität und setzten im Vergleich zum ursprünglichen Uranerz mehr als 10.000 Mal so viel Radongas frei. Eine auf die Entsorgung von radioaktiven Abfällen spezialisierte Firma berechnete 1992, dass die in Elliot Lake freigesetzte Menge an Radongas eine Gesamtstrahlendosis von etwa zehn Millionen Personen-Sievert verursachen würde. Über einen Zeitraum von 1.000 Jahren berechnet, wären so allein durch das freigesetzte Radongas etwa 2.300 bis 26.000 tödliche Krebsfälle zu erwarten, wobei diese Zahl durch Erosionsprozesse oder andere Umwelteinflüsse auch um den Faktor 1.000 ansteigen könnte. Zusätzlich würde die Verseuchung von Luft und Wasser durch den Abraum der Minen, je nach Umweltbedingungen, weitere 1.600 bis 24.000 Krebstodesfälle verursachen. Nicht berücksichtigt in diesen Rechnungen sind Lecks oder Unfälle, wie die Verseuchung des Elliot Lake mit zwei Millionen Litern flüssigem Strahlenmüll aus der Stanleigh Mine im August 1993. Unabhängig wie groß die Zahl der Krebstodesfälle am Ende ausfällt, gilt, dass jeder Erkrankungsfall für die betroffenen Familien einen schweren Schicksalsschlag bedeutet.
Bis in die 1970er Jahre war es in Elliot Lake zudem üblich, kontaminierte Erde für die Konstruktion von Häusern zu nutzen. Die übliche Strahlenbelastung durch Radongas wurde dabei um das 20-Fache überstiegen. Nachdem Studien des Umweltuntersuchungsausschusses von Elliot Lake zu dem Schluss kamen, dass durch die hohe Radonbelastung ein Anstieg der tödlichen Lungenkrebsfälle um etwa 30 % zu erwarten sei, musste die Stadt reagieren. So wurden beispielsweise Ventilatoren unter den Dielenböden der betroffenen Häuser angebracht, um den Gehalt an Radongas in Wohnräumen zu verringern. Die BCMA verurteilte die Nachlässigkeit beim Bau der Häuser und sprach von einer „industriell verursachten Krebsepidemie.“ Ein 1982 veröffentlichter Bericht des kanadischen Aufsichtsamts für Atomenergie prognostizierte für die Bewohner radioaktiv kontaminierter Häuser einen Anstieg von Lungenkrebserkrankungen um etwa 40 %.
Ausblick
Anfang der 1990er Jahre wurden die Uranminen in Ontario aufgrund der billigeren Konkurrenz des Uranbergbaus in Nord-Saskatchewan geschlossen. Auch spielte die Entscheidung der US-Atomenergiekommission eine Rolle, für das Atomwaffenprogramm künftig Uranquellen in den USA zu bevorzugen. Das abrupte Ende der Uranindustrie trieb Elliot Lake in den Ruin. Viele Menschen zogen aus der verseuchten Stadt fort. Diejenigen, die blieben, leiden weiterhin unter der radioaktiven Verseuchung der Umgebung sowie der hohen Strahlenbelastung durch Radongas. Umfassende epidemiologische Untersuchungen fehlen bis heute. Die Menschen von Elliot Lake sind zu Hibakusha geworden. Sie werden krank und sterben an Krebs, weil ihr Leben und ihre Gesundheit dem Streben nach billigem Uran für Atomwaffen untergeordnet wurden.
Quellen
- Young et al. „Health Dangers of Uranium Mining and Jurisdictional Questions“. Environmental Health Committee of the British Columbia Medical Association, August 1980. www.ccnr.org/bcma.html
- Falkowski P. Speech from June 1976. www.republicofmining.com/category/elliot-lake/
- Kusiak et al. „Mortality from lung cancer in Ontario uranium miners“. Br J Ind Med 1993;50:920-928. www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1035522/
- Leigh et al. „Impacts of Elliot Lake Mill Tailing“. Radioactive Waste Management Associates (RWMA), New York, 30.03.92. www.wise-uranium.org/udeli.html
- Edwards G. „Uranium: The Deadliest Metal“. Canadian Coalition for Nuclear Responsibility (CCNR), 1992. www.ccnr.org/uranium_deadliest.html
- Dewar et al. „Uranium mining and health“. Can Fam Physician. 2013 May; 59(5): 469-471. www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3653646/