Jáchymov, Tschechische Republik
Uranbergbau
Nachdem St. Joachimsthal/Jáchymov durch den Abbau von Uran reich geworden war, wurde die Stadt während des Kalten Kriegs wichtiger Zulieferer von Spaltprodukten für das sowjetische Atomwaffenprogramm. Eine große Anzahl der Bergleute, viele von ihnen Zwangsarbeiter, entwickelten durch die ungeschützte Arbeit in den Uranminen Lungenkrebs.
Hintergrund
Im 19. Jahrhundert wurde zum ersten Mal radioaktives Gestein in der Nähe der böhmischen Stadt St. Joachimsthal gefunden. Eine Kurklinik wurde eröffnet, die wundersame Heilungen durch die Effekte der Radioaktivität versprach. Ohne sich der schädlichen Effekte der Strahlung bewusst zu sein, kamen jedes Jahr Tausende von Kurgästen, um ihre Leiden mit Hilfe von Radium „behandeln“ zu lassen. Auch Marie Curie nutzte für ihre Forschung zur Radioaktivität Uran aus St. Joachimsthal. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Stadt Teil der Tschechoslowakei und änderte ihren Namen in Jáchymov.
In den 1920er Jahren wurden radioaktive Seifen und andere strahlende Produkte aus Jáchymov gewinnbringende Exportschlager. Radioaktive Färbemittel wurden beispielsweise in den USA wegen ihrer natürlichen Fluoreszenz für die Zeiger von Armbanduhren genutzt. Die Arbeiterinnen, die die Farbe auf die Zeiger pinselten, hatten die Gewohnheit, die Farbbürsten abzulecken. Nachdem viele von ihnen ihre Zähne verloren oder Mundkrebs entwickelt hatten, untersuchten die US-Gesundheitsbehörden die Färbemittel und verboten weitere Importe radioaktiver Stoffe.
Nachdem die Stadt während des Zweiten Weltkriegs von Deutschland annektiert worden war, wurde Jáchymov nach Ende des Krieges wieder der Tschechoslowakei zugesprochen. Mit dem Beginn des atomaren Wettrüstens und der massiven Nachfrage nach spaltbarem Material durch die Sowjetunion, erlangten die Uranvorkommen in den Bergen Jáchymovs plötzlich strategische Bedeutung. Der alte Kurort wurde schnell Opfer des einsetzenden Uranrauschs und verwandelte sich in eine streng bewachte Sicherheitszone. Gesundheits- und Umweltbedenken wurden wenig Beachtung geschenkt. In den 1950er und 1960er Jahren wurden Zwangsarbeiter und politische Gefangene in die Minen von Jáchymov geschickt, um der Nachfrage nach Uran gerecht zu werden.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Während der Schürfung von Uranerz zogen sich viele Kumpel die sogenannte „Jáchymov-Bergarbeiterkrankheit“ zu. Heute weiß man, dass es sich dabei um Lungenkrebs handelte. Die durchschnittliche Lebensdauer der Arbeiter betrug etwa 42 Jahre. Der signifikante Anstieg der Krebsraten führte Anfang des 20. Jahrhunderts zu wissenschaftlichen Debatten und parlamentarischen Untersuchungen. Trotz der Proteste der lokalen Tourismusbranche und der Kurkliniken, die Angst um den „guten Namen“ der Radioaktivität hatten, eröffnete das tschechoslowakische Ministerium für öffentliche Gesundheit eine Untersuchungsstation für Bergarbeiter.
1952 wurde schließlich die Inhalation radioaktiver Aerosole zur Hauptursache der „Jáchymov-Bergarbeiterkrankheit“ erklärt. Die Regierung musste Lungenkrebs in das Gesetz zur Leistung von Entschädigungszahlungen bei Berufskrankheiten aufnehmen und die Hinterbliebenen kompensieren. Nichtsdestotrotz wurde der Uranabbau in Jáchymov bis 1964 fortgeführt.
1992 untersuchte das Institut für öffentliche Gesundheit die Verwendung von radioaktivem Abfall für Mörtel und Putz in lokalen Bauprojekten. So wurden erhöhte Werte für Gamma-Strahlung und Radon-Konzentrationen in Wohnräumen gefunden. Manche Anwohner lebten jahrelang mit Strahlendosen von mehreren Hundert mSv pro Jahr. Man schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Krebserkrankung etwa zwei Prozent pro 100 mSv beträgt. Die übliche jährliche Belastung durch Radongas ist in etwa ein Millisievert pro Jahr.
Ausblick
Bis heute leidet Jáchymov, das für viele Jahre eine „verbotene Stadt“ war, an den Folgen seiner Vergangenheit: „Wir hatten keine Zeit, die zerstörte Landschaft wieder in Stand zu setzen, die riesigen Schlackehügel zu entfernen oder die Schlammflächen und Brackwasserseen aufzufüllen, die durch die ausgedehnten Abbauaktivitäten erschaffen wurden.“ Heute grassiert Armut in der einst stolzen Kurstadt. Verlassene Fabriken und Häuser mit hoher Strahlenbelastung prägen das Stadtbild und sind weiterhin ein direktes Gesundheitsrisiko für die dort noch lebenden Menschen. Weitreichende Maßnahmen sind nötig, um die Strahlenwerte in den Häusern zu reduzieren: Während radioaktiver Putz einfach entfernt werden konnte, erfordert kontaminierter Mörtel den Abriss der Häuser. Doch auch diese Maßnahmen bergen ein gesundheitliches Risiko und sind daher umstritten. Die Zukunft von Jáchymov bleibt somit offen. Das wirkliche Ausmaß der gesundheitlichen Folgen für die Lokalbevölkerung ist mangels groß angelegter epidemiologischer Studien noch immer unbekannt. Auch die Bergarbeiter und Anwohner von Jáchymov sind Hibakusha. Auch ihre Gesundheit wurde dem Bau von Atomwaffen geopfert.
Quellen
- Zeman et al. „Uranium Matters – Central European Uranium in International Politics 1900-1960“. CEU Press, Budapest, 2008.
- Clark C. „Radium Girls – Women and Industrial Health Reform, 1910-1935“. UNC Press, 1997.
- Zoellner T. „Uranium – War, Energy, and the Rock that shaped the World“. New York, Viking Penguin Books, 2009.
- Mášová et al. „Science in the Service of Occupational Health: The Case of the Commission for ‚Miner’s Disease of Jáchymov‘ in the Inter-war Czechoslovakia“. Prague Medical Report / Vol. 107 (2006) No. 4, p. 447–460. http://pmr.cuni.cz/Data/files/PragueMedicalReport/04-06%20Masova.pdf
- Thomas et al. „Wastes from the former uranium paint factory at Joachimstal (Jáchymov) used in dwellings“. Environment International, Volume 19, issue 5, 1993, Pages 509–512. www.sciencedirect.com/science/article/pii/016041209390276N
- „BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation“. National Academies Press, Washington, 2006, S. 279f, tables 12.5a und 12.5b. www.nap.edu/openbook.php?record_id=11340&page=8
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