Mailuu-Suu, Kirgisistan
Uranbergbau
Die ehemalige Uranbergbaustadt Mailuu-Suu ist berüchtigt für ungesicherte Uranabraumhalden und radioaktive Abwasserbecken an tektonisch instabilen Berghängen. Tausende Menschen sind bereits von der radioaktiven Verseuchung der umliegenden Flüsse betroffen und die hohe seismische Aktivität der Region droht ständig, mehr Atommüll in die Trinkwasserversorgung des Tals zu spülen.
Hintergrund
Von 1946 bis 1968 förderte und verarbeitete das Bergbau- und Chemiekombinat „Zapadnyi“ in Mailuu-Suu über 10.000 Tonnen Uranerz. Große Mengen des Materials waren für das Atomwaffenprogramm der Sowjetunion vorgesehen. Der radioaktive Abraum wurde ohne Rücksicht auf die Gesundheit der örtlichen Bevölkerung oder die instabilen tektonischen Verwerfungen in der Region nahe bewohnter Ortschaften abgelagert. So befinden sich heutzutage 36 Atommüllhalden in der Region, mit einem Gesamtvolumen von etwa 1.960.000 m³ an ungesichertem radioaktiven Abraum. 26 von ihnen befinden sich innerhalb des Stadtgebiets von Mailuu-Suu, einer Stadt mit 25.000 Einwohnern. Aber auch die zahlreichen kleineren Siedlungen im Tal sind von flussaufwärts gelegenen Abraumdeponien betroffen. Eine Studie der Umweltschutzorganisation Blacksmith Institute aus dem Jahr 2006 ergab, dass Mailuu-Suu auf der Rangliste der am schlimmsten kontaminierten Orte der Welt an dritter Stelle steht. Erdrutsche, Überschwemmungen und Erdbeben kommen in der Region regelmäßig vor und drohen, den Mailuu-Suu Fluss radioaktiv zu verseuchen. Ein einzelner Erdrutsch im Jahr 1958 führte bereits zur Freisetzung von über 500.000 m³ radioaktiven Mülls in das Flusssystem und zur radioaktiven Kontamination großer Landstriche im dicht besiedelten Ferghana Tal. Die Behörden verschwiegen den Unfall vor der Öffentlichkeit; medizinische Untersuchungen fanden nie statt. Weitere kritische Vorfälle ereigneten sich jüngst im Mai 2002, als ein Erdrutsch den Verlauf des Mailuu-Suu Flusses blockierte und der Fluss drohte, radioaktiv verseuchte Abwasserbecken zu überschwemmen, sowie im April 2005, als ein Erdbeben einen massiven Erdrutsch in gefährlicher Nähe zu einem Abraumbecken auslöste.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Die wohl größte akute Gefahr geht von Abraumbecken Nr. 3 aus, welches als provisorisches Becken ohne wirkliche Sicherheitsplanung gebaut wurde. Es enthält derzeit etwa 176.000 Tonnen von radioaktivem Abraum. Die geschätzte Dosis durch Gamma-Strahlen am Rand des Beckens beträgt etwa 5,5 mSv/h, dem 20.000-Fachen der natürlichen Hintergrundstrahlung (0,0003 mSv/h). Die Siedlung Kara-Agach wurde direkt auf einer Atommülldeponie errichtet. Hier ist die Bevölkerung einer Belastung von etwa zehn Millisievert pro Jahr durch äußere Strahlung und weiteren zehn bis dreißig Millisievert pro Jahr durch verseuchte Lebensmittel ausgesetzt. Auch muss noch die zusätzliche Strahlendosis durch radioaktiv kontaminiertes Flusswasser mit einbezogen werden. Insgesamt übersteigt die Strahlendosis dieser Menschen somit die natürliche Hintergrundstrahlung von ca. zwei bis vier Millisievert im Jahr um ein vielfaches.
In Unkenntnis der Gefahren durch Radioaktivität entfernt die örtliche Bevölkerung außerdem Geräte und sonstiges Material aus den Bergwerken, verkauft sie an Altmetallhändler und riskiert damit nicht nur ihr Leben, sondern verbreitet die Radioaktivität auch noch weiter. Darüber hinaus wurde Abraummaterial zum Haus- und Straßenbau verwendet, mit weiteren bedrohlichen Folgen für die Bevölkerung. Uran und sein Zerfallsprodukt Radon sind hochgradig krebserregend. Eine Studie des Instituts für Onkologie und Radioökologie aus dem Jahre 1999 an über 1.200 Einwohnern von Mailuu-Suu ergab, dass die Krebsrate fast doppelt so hoch lag wie im Rest des Landes: 172,2 pro 100.000 gegenüber 93,5 pro 100.000. Der kirgisische Gesundheitsminister erklärte, dass „die statistische Langzeiterfassung der Daten einen Anstieg der Inzidenz von Krebs- und Bluterkrankungen sowie hormoneller Störungen zeige.“
Ausblick
Ein Projekt des Blacksmith Institute inspizierte in den Jahren 2008 und 2009 Wohnungen, untersuchte Wasser und Nahrung in der Region, installierte Radonmessgeräte in Häusern und veranstaltete Lehrgänge zu Strahlenschutzmaßnahmen für die örtliche Bevölkerung. Mindestens fünf Familien mussten aufgrund der hohen Radongaskonzentration in ihren Wohnungen von über 1.000 Bq/m³ umgesiedelt werden. Übliche Grenzwerte liegen bei 100 Bq/m³, der deutsche Durchschnittswert bei etwa 40 Bq/m³. Der Urangehalt im Trinkwasser und die Strahlenbelastung in geschlossenen Räumen sanken infolge der Aufklärungsarbeiten um etwa 50 %. Dieses ermutigende Projekt, das die Gesundheitsbedingungen in einem kleinen Teil des betroffenen Gebiets verbessern konnte, kann lediglich ein erster Schritt sein, nach Jahrzehnten ununterbrochener radioaktiver Verseuchung von Luft, Böden und Wasser. Die Gefahr weiterer Kontaminationen, insbesondere des Trinkwassers und von Lebensmitteln, ist noch immer sehr hoch, da die Region erdbebengefährdet ist und es vielen Atommüllhalden an adäquaten Sicherheitsvorkehrungen fehlt. So sind die Menschen in Mailuu-Suu weiterhin gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt. Sie leiden unter den Folgen der zivilen und militärischen Atomindustrie – auch sie sind Hibakusha.
Quellen
- „Mailuu-Suu Legacy Uranium Dumps“. Website des Blacksmith Institutes. www.blacksmithinstitute.org/projects/display/129
- Djenchuraev N. „Current environmental issues associated with mining wastes in Kyrgyzstan“. Department of Environmental Sciences and Policy of Central European University, Budapest, August 1999. http://enrin.grida.no/case_studies/nucFergana/kyrgyz_12.pdf
- „Kyrgyzstan: IAEA researching radioactive waste and health in Mailuu-Suu“. IRIN News, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, 02.11.04. www.irinnews.org/report/26451/kyrgyzstan-iaea-researching-radioactive-waste-and-health-in-mailuu-suu
- Vandenhove et al. „Assessment of radiation exposure in the uranium mining and milling area of Mailuu Suu, Kyrgyzstan“. J Env. Radioact. 2006;88(2). www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16581165
- Toralieva G. „Toxic Time Bomb“. New Internationalist Magazine, Issue 382, 01.09.05 http://newint.org/features/2005/09/01/toxic
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