Sequoyah und Watts Bar, USA
Unfall in einem Atomkraftwerk
Die benachbarten Atomkraftwerke Sequoyah und Watts Bar stehen in dieser Ausstellung stellvertretend für alle zivilen Atomkraftwerke, die auch ohne massive Katastrophen durch ständige radioaktive Lecks und Fehlfunktionen eine gesundheitliche Gefahr darstellen. Beide Kraftwerke stehen, ähnlich wie das AKW Fukushima, in einer Erdbebenregion. Zudem produziert Watts Bar als ziviles Atomkraftwerk nebenbei Tritium für das US-amerikanische Atomwaffenprogramm.
Hintergrund
Die Atomkraftwerke Sequoyah und Watts Bar liegen im Osten des US-Bundesstaats Tennessee, zwischen den Städten Chattanooga und Knoxville, und werden von der Tennessee Valley Authority (TVA) betrieben. Das AKW Sequoyah ist seit 1981, das AKW Watts Bar seit 1996 in Betrieb. Die Liste der kritischen Zwischenfälle in Sequoyah ist lang: Am 19. Januar 1981 führten Fehlfunktionen von Generatorrohren zu einer notfallmäßigen Abschaltung des Kraftwerkes. Am 11. Februar desselben Jahres verursachte ein Steuerungsfehler eine weitere Notabschaltung. Um die Kosten gering zu halten, hatte man sich entschlossen, zur Notkühlung des Reaktors statt frisches Wasser radioaktiv kontaminiertes zu nutzen. So ergossen sich 370.000 Liter verstrahltes Wasser über 14 Arbeiter. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Dampflecks, Rohrbrüchen und überlaufenden Tanks. Von 1985 bis 1988 musste das Kraftwerk abgeschaltet werden, nachdem eine unabhängige Studie zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Sicherheitsauflagen nicht erfüllt wurden. Aufgrund von Sicherheitsaspekten musste das Atomkraftwerk fünf Jahre später erneut abgeschaltet werden. Im Jahr 1999 wählte das US-Energieministerium Watts Bar für die Produktion von Tritium aus, einem wichtigen Bestandteil von Atomwaffen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie zivile Atomkraftwerke genutzt werden, um Material für militärische Zwecke zu produzieren.
Laut Berechnungen der unabhängigen Union of Concerned Scientists hat das AKW Sequoyah eine Kernschmelzwahrscheinlichkeit von 1 : 26.525 Reaktorjahren, wohingegen diese Wahrscheinlichkeit beim AKW Watts Bar mehr als achtmal höher liegt – bei 1 : 3.030 pro Reaktorjahr, obwohl es 15 Jahre jünger ist. Vorgeschrieben ist laut staatlicher Auflagen jedoch eine maximale Kernschmelzwahrscheinlichkeit von einem in 1.000 Reaktorjahren, sodass auch Watts Bar dieser niedrigen Anforderung genügt. Zum Vergleich: In den AKWs Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima ereigneten sich Kernschmelzen nach 1, 3 bzw. 40 Reaktorjahren, obwohl auch Sie für deutlich längere Betriebszeiten konzipiert wurden.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Tritium ist ein radioaktives Isotop von Wasserstoff und zerfällt mit einer Halbwertszeit von zwölf Jahren, wobei es dabei kontinuierlich Beta-Strahlung abgibt. Nach Inhalation oder Aufnahme mit der Nahrung kann es im Körper DNA-Schäden verursachen und somit zu Mutationen und Krebs führen. Im Dezember 2011 fand die TVA im Grundwasser nahe des AKW Sequoyah erhöhte Tritiumwerte von rund 700 Bq/l. Die Proben wurden etwa 23 Meter vom Abwasserkanal des AKW entnommen, der in den Tennessee River mündet. Den Behörden zufolge seien diese erhöhten Werte am ehesten auf Lecks aus den 1980er Jahren oder einem Überlaufen des Kanals im Jahr 2003 zurückzuführen. Dies wirft die Frage auf, wie viele Lecks es wirklich gab, wie viele davon bekannt wurden und vor allem wie hoch die Strahlenwerte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls waren. Laut des Bundesamts für Strahlenschutz lagen die normalen Tritiumkonzentration deutscher Binnengewässer bei unter 10 Bq/l, wobei in Flüssen in der Nähe von Atomkraftwerken auch in Deutschland Tritiumwerte von bis zu 3.000 Bq/l gemessen wurden. Die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung, der Arbeiter und Anwohner rund um Sequoyah ausgesetzt sind, wurden bisher nicht untersucht. Die KiKK-Studie, die 2008 im International Journal of Cancer veröffentlicht wurde, zeigte erhöhte Raten von Krebsfällen im Kindesalter in der Umgebung deutscher Atomkraftwerke. Eine mögliche Erklärung hierfür ist das Entweichen radioaktiver Isotope wie Tritium infolge von Unfällen oder beim Austausch der Brennstäbe, wenn der Reaktorkern geöffnet werden muss.
Ausblick
Nach den Kernschmelzen in Fukushima stellte die US-Aufsichtsbehörde für Geologie fest, dass sich auch das AKW Sequoyah in einer Region mit hoher seismischer Aktivität befindet und das vierthöchste Erdbebenrisiko aller US-Atomkraftwerke hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Kernschadens durch ein Erdbeben wurde für Sequoyah mit 1 : 19.608 berechnet; 25-mal wahrscheinlicher als ein Blitzeinschlag. In Watts Bar ist das Risiko mit 1 : 27.787 ein wenig geringer. Zudem stellte sich heraus, dass im Falle eines schweren Erdbebens die Dämme über dem AKW Sequoyah der gewaltigen Flut des Tennessee River nicht standhalten würden und dieser das Atomkraftwerk und seine Notfallgeneratoren bedrohen könnte. Die Menschen in Tennessee wollen nicht zu Hibakusha werden, wie die Menschen in Fukushima.
Quellen
- „Accidents: 1980s“. Nuclear Age Peace Foundation – NuclearFiles.org. http://nuclearfiles.org/menu/key-issues/nuclear-weapons/issues/accidents/accidents-1980%27s.htm#
- „Sequoyah Unit 1“. Fact Sheet der Union of Concerned Scientists. www.ucsusa.org/assets/documents/nuclear_power/sequoyah-1-i.pdf
- Lochbaum D. „Nuclear plant risk studies – Failing the Grade“. Union of Concerned Scientists, 2000. www.ucsusa.org/assets/documents/nuclear_power/nuc_risk.pdf
- „Sequoyah Groundwater Monitoring Well Detects Tritium“. Webseite der Tennessee Valley Authority, 20.12.2011. www.tva.gov/news/releases/octdec11/sqn_tritium.html
- Sohn P. „TVA plans more nuclear openness to counter worries“. Times Free Press, 14.01.2012. http://timesfreepress.com/news/2012/jan/14/tva-plans-more-nuclear-openness-to-counter-worries/?print
- Bernhard-Ströl C. et al. „Jahresbericht Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung 2011 – Teil B II: Künstliche Umweltradioaktivität“. Bonn, Juli 2013. www.bfs.de/de/bfs/publikationen/berichte/umweltradioaktivitaet/JB_archiv.html/#2011
- Kaatsch et al. „Leukaemia in young children living in the vicinity of German nuclear power plants“. Int. J. Cancer: 1220, 721–726 (2008). www.rachel.org/lib/leukemias_near_german_nukes.080215.pdf
- Sohn P. „Nuclear plants told to reassess earthquake risks“. Times Free Press, 05.02.2012. www.timesfreepress.com/news/2012/feb/05/nuclear-plants-told-to-reassess-earthquake/?news
Poster Download
Alle Orte
Alamogordo (USA)
Amchitka (USA)
Arlit und Akokan (Niger)
Basra (Irak)
Bikini (Pikinni) und Eniwetok (Āne-wātak) (Marshallinseln)
Black Hills/Paha Sapa (USA)
Chasma Bucht (Russland)
Church Rock/Kinłitsosinil (USA)
Elliot Lake (Kanada)
Emu Field (Australien)
Ezeiza (Argentinien)
Falludscha (Irak)
Fangataufa und Moruroa (Französisch-Polynesien)
Fukushima (Japan)
Goiânia (Brasilien)
Hanford (USA)
Hiroshima (Japan)
In Ekker (Algerien)
Jáchymov (Tschechische Republik)
Jadugoda (Indien)
Kiritimati und Malden (Kiribati)
La Hague (Frankreich)
Lop Nor (China)
Mailuu-Suu (Kirgisistan)
Majak (Russland)
Maralinga (Australien)
Mounana (Gabun)
Nagasaki (Japan)
Nevada (USA)
Nowaja Semlja (Russland)
Olympic Dam (Australien)
Palomares (Spanien)
Radium Hill (Australien)
Ranger Mine (Australien)
Reggane (Algerien)
Rössing (Namibia)
Saskatchewan (Kanada)
Semipalatinsk (Kasachstan)
Sellafield/Windscale (Großbritannien)
Sequoyah and Watts Bar (USA)
Shiprock/Tsé Bit'a'í (USA)
Spokane Reservation (USA)
Têwo/Diebu (China)
Three Mile Island (USA)
Thule (Grönland)
Tōkai-mura (Japan)
Tomsk-7/Sewersk (Russland)
Tschernobyl (Ukraine)
Wismut-Region (Deutschland)
Witwatersrand (Südafrika)